„Liederliche Dirnen“

oder Prostitution als notwendiger Lebensunterhalt

„Mit Haft wird bestraft: Eine Weibsperson, welche wegen gewerbsmäßiger Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist, wenn sie den in dieser Hinsicht zur Sicherheit der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Anstandes erlassenen polizeilichen Vorschriften zuwiderhandelt, oder welche, ohne einer solchen Aufsicht unterstellt zu sein, gewerbsmäßig Unzucht betreibt.“ (§361 Stgb.)

Dieser Paragraph aus dem Strafgesetzbuch konnte für Frauen unangenehme Folgen haben. Schon das bloße Spazierengehen - in bestimmten Gegenden - genügte, um in den Verdacht der Prostitution zu geraten, und konnte einen Anlas zur Verhaftung bieten. Manche Frauen wurden bei der Polizei denunziert, andere wurden von Wachmännern auf ihren Rundgängen angesprochen, wenn sie in Begleitung „fremder“ Männer waren.

Wie aber war es für Polizisten möglich, zweifelsfrei zu beurteilen, welche Beziehung zwischen diesen Frauen und deren Begleitern bestand? Erwies sich die Vermutung auf "gewerbliche Unzucht" als richtig, so waren die Frauen fortan als "Winkelhure" registriert und standen unter sanitätspolizeilicher Kontrolle.

1854 hatte die Stadt Bonn die "wöchentliche Revision der Lustdiener hiesiger Stadt" (Pr 5992) eingeführt: Jede eingeschriebene Prostituierte musste sich einmal wöchentlich zur Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten in der Hautklinik einfinden. Versäumten sie die Kontrolle, hatten sie mit einer Geld- oder Haftstrafe zu rechnen.

Im Falle einer Geschlechtskrankheit mussten sie sich sechs bis zehn Wochen in der Universitätsklinik auskurieren. Die Gefahr der Ansteckung war für die Frauen groß, zumal es kaum Möglichkeiten gab, sich zu schützen. Im Sommer 1896 waren zwei von sechs registrierten Prostituierten als krank gemeldet. 1904 waren bei 35 kontrollierten Frauen mindestens zehn Krankheitsfälle in den Polizeiakten vermerkt; unter ihnen befanden sich zwei Frauen, die sich kurze Zeit nach der Genesung gleich wieder ansteckten. Die Kosten der Behandlung trug die Stadt. Im Haushaltsjahr 1890/91 musste sie 1.487 Mark dafür aufwenden; hinzu kamen noch die Kosten für die wöchentlichen Untersuchungen. Da die Freier sich nicht untersuchen lassen mussten, werden die Kontrollen in erster Linie dem Schutz der Männer gedient haben.

Die bürgerliche Doppelmoral gestattete den Männern ungehindert den Besuch von Bordellen und den Umgang mit Prostituierten, während den Frauen Verhaftungen bevorstanden, wenn sie sich nicht registrieren ließen - von den vielen Diskriminierungen ganz zu schweigen. Die Gesundheitsuntersuchungen waren sicherlich für manche Frauen entwürdigend, zumal sie in der Universitätsklinik als Anschauungsobjekte für die Studenten dienten. Aber auch im Alltag waren die Frauen nie vor dem Auge des Gesetzes sicher.

Den registrierten Frauen war es verboten, im Winter ab 19 Uhr, im Sommer ab 21 Uhr bis zum nächsten Morgen das Haus zu verlassen. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass sie den Schutz der Dunkelheit nutzten, um ihrem Gewerbe nachzugehen. Wenn die Polizei sie in dieser Zeit außerhalb ihrer Wohnung antraf, wurden sie in polizeilichen Gewahrsam genommen und mussten mit mehrtägigen Haftstrafen rechnen. Dies kam wohl recht häufig vor, wie die in den Akten erhaltenen Meldungen des Polizeiwachtmeisters Köhler an seinen Vorgesetzten aus den ersten Monaten des Jahres 1868 zeigen. Am 28. Februar 1868 berichtete er: "Heute Abend nach 8 Uhr traf der unterzeichnete mit Polizei Sergeant Gehde am Josephstor die Catharina K., Ehefrau von Johann F., wohnhaft Kaule. Dieselbe führte ein kleines Körbchen bei sich und gab an, sie wolle für ihren Mann etwas Fett kaufen." Nichtsdestotrotz wurde die Frau mit 14 Tagen Haft bestraft. Köhler war natürlich allgemein bekannt, und oftmals konnten sich Frauen der Verhaftung entziehen, weil sie bei dessen Auftauchen rechtzeitig geflohen waren. Köhler ging allerdings seine Aufgabe mit großem Eifer an, wie sein folgender Bericht zeigt: "In der Nacht vom 26 zum 27ten d. Mts [April] gegen 2 Uhr kam ich mit Wächter Trimborn in die Heisterbacherhofstraße. Wir sahen aus der Kaule einen Mann kommen, welcher nach der Windmühlenstraße ging und sich mehrmals umsah. Gleich nachdem kamen zwei Frauenzimmer und zwei Herren, welche denselben Weg passierten. Ich beauftragte den Trimborn, nachzugehen und sich von den Personen zu überzeugen. Ich selbst ging durch die Wurstgasse in die Engeltalerstraße. Hier kamen mir die zwei Frauenzimmer ohne Begleitung entgegen, machten aber als sie mich erblickten kerth und liefen durch die Windmühlenstraße nach der Kaul zurück in das Haus des Spickermann. Als ich dort ankam und sie ersuchte, die Stubenthür zu öffnen, gaben sie zur Antwort, ich hätte ihnen nicht sollen nachkommen, ich hätte in der Nacht auf der Windmühlenstraße nichts zu thun. Diese Personen waren 1. die Ehefrau R. und 2. dessen [sic!] Schwester Christina R.. Verschiedene Personen riefen mir bei verschlossener Thür zu, es seien noch zwei Herren bei denselben im Zimmer. Infolge dessen besetzte ich das Haus mit den Wächtern Trimborn und Rheidt. Um 6 Uhr ging ich mit dem Sergeanten Gelde an das Haus. Ritzdorf erklärte, er ließ niemanden in seine Wohnung als nur den Herrn Inspektor oder den Herrn Commissar. Von dem Wächter Trimborn wurde mir der Christian F., Fabrikarbeiter ..., wohnhaft [bei]der Witwe Schnitzler, übergeben. F. ersuchte ich, mit mir nach dem Herrn Inspektor zu gehen: woselbst er erklärte mir, er sei diese Nacht bei der Christiane R. im Zimmer gewesen und sei, als er mich gesehen habe, mit derselben und der Ehefrau Ritzdorf wieder nach der Kaule gegangen. Er sei der Liebhaber der Christiane R. und habe ihr nichts bezahlt." Die beiden Frauen wurden jeweils mit neun Tagen Haft bestraft
 


 

Der Fall Amalie/Elise W:


Polizeibericht, Bonn, den 6.11.03:

"Die Dirne Elise W., geboren am 6.2.1877 zu Hof-Eschenau, welche am 13.5.1903 hier unter Sittenkontrolle gestellt wurde, trieb sich am 5. d. Mts. Abends gegen 11 Uhr 20 Minuten in der Poststraße umher. Die Genannte muß um 7 Uhr Abends in ihrer Wohnung sein und darf nach dieser Zeit die Straße nicht mehr betreten; sie wurde dieserhalb festgenommen. Bei der heute vorgenommenen ärztlichen Untersuchung wurde dieselbe an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit - Tripper - leidend befunden, ihre Aufnahme in die hiesige Klinik konnte jedoch wegen Platzmangels nicht erfolgen.."

Polizeibericht, Bonn, den 16.11.03:

"Die seit dem 12. April 1902 hierselbst unter Sittencontrolle stehende Amalie W., welche seit einigen Monaten in Cöln auffällig ist und dortselbst ebenfalls unter Sitten-Controlle steht, wurde in der Nacht vom 5. zum 6. November hier festgenommen, am anderen Tag der Haut-Klinik zugeführt und als geschlechtskrank befunden.

Da in der Hautklinik nach Angaben des Arztes Dr. Grouven kein Platz vorhanden war, wurde die W. im Männer-Asyl untergebracht, von wo aus dieselbe jeden Morgen zur ärztlichen Untersuchung in die Hautklinik vorgeführt wird.

Am 13. ds. Mts. fand nun eine Dienstmagd Anna H. wegen Verdachts auf Tripper in der Hautklinik Aufnahme und mußte die W., welche bereits vor der H. krank befunden wurde, zurückstehen. - Dieses ist um so auffallender, als Dr. Grouven inzwischen schon befragt worden ist, ob die W. nicht Aufnahme finden könne, indem durch die tägliche Zuführung derselben dienstliche Schwierigkeiten entständen."

Antwort von Dr. Grouven, Bonn, den 21.11.03:

"... zurückgesandt mit dem Bemerken, daß die Prostituiertenabteilung der Hautklinik, die etatmäßig 10 Betten III. Cl. umfaßt, z.Zt. von 18 Patientinnen belegt ist und zwar durchgehend von solchen, die auf Kosten der Stadt Bonn verpflegt werden.

Die H. ist nur deswegen aufgenommen worden, weil wie dem vorführenden Criminalbeamten ausdrücklich erklärt wurde, mit Rücksicht auf eine voraussichtlich erforderliche Begutachtung ihrer nicht ganz sichergestellten Erkrankung, eine regelmäßige Beobachtung nötig erschien.

Die W., die schon einmal die Klinik durchs Dach verlassen hat, würde zudem, wie sie auch selbst ankündigte, auch jetzt kaum länger als 24 Stunden in der Klinik zu halten gewesen sein."

Elise W. an den Bonner Oberbürgermeister, Bonn, den 22.11.03:

"Ich möchte dringend bitten um Abhilfe, da ich schon in der dritten Woche hier im Männerasyl bin, ohne reine Wäsche zu bekommen, und ohne Freigang hier auf einem Zimmer eingeschlossen wie im Gefängnis sitze. Und wen ich krank bin, so gehöre ich in ein Krankenhaus und nicht in das alte Männerasyl. Ich möchte nochmals bitten, daß ich von einem anderen Arzt untersucht werde, der Dr. Grufen in der Klinik ist mir nicht maßgebend, da er mich auf dem 1. August dieses Jahres auch festgehalten hat, und ohne eine Behandlung bin ich in dem selben Tage durchgebrannt und kam 4 Tage später in Cöln zum Arzt und der hat nichts an mir gefunden und habe bis jetzt stets [die]Kontrolle passiert in Cöln und [bin] noch nicht für krank befunden worden. Sogar am 5. November war ich noch zur ärztlichen Untersuchung und fuhr Abends nach Bonn, weil ich hier was zu erledigen hatte und wurde, als ich im Bahnhof war und nach Cöln fahren wollte, mitgenommen und hier zur Klinik geführt. Da war ich krank. Wenn der Herr Oberbürgermeister das vielleicht nicht glauben will, so möchte ich bitten, daß er sich nach Cöln nach der Sittenpolizei wendet. Die Controllbücher sind die Beweise Ich möchte bitten daß ich hieraus komme, entweder zur Klinik oder nach Cöln, da ich in Cöln unter Kontrolle stehe und nicht hier. Ich möchte bitten daß ich sofort von einem anderen Arzt untersucht werde, weil der Dr. Grufen sich ausgedrückt hat ..., es würde noch Monate lang dauern bis ich gesund wäre. Dann sollen sie mich, wenn sie viel Geld haben, zur Klinik thun, mich dort so lang behalten, aber hier kann ich nicht mehr bleiben.

Wenn mir keine Abhilfe gemacht werde, so weiß ich mich woanders hin[zu]wenden. Das ist Freiheitsberaubung, einen so einzuschließen auf ein Zimmer. Ich bin doch nicht in Strafe. Wenn ich krank bin, so gehöre ich ins Krankenhaus. Ich möchte bitten um Abhilfe sofort."

Anzeige des Verwalters des Bonner Männerasyls Johann S., Bonn, den 25.11.03

"Die seit dem 7.11.03 hier im Männerasyl wegen Geschlechtskrankheit untergebrachte Dirne Else W., ist heute Nachm. gegen 6.00 Uhr entflohen. Die Genannte hat die Schrauben der Türventilation gelöst bzw. durch Entfernen des Holzes freigelegt, wodurch sich die ganze Ventilation wegnehmen ließ. Hierdurch entstand eine Öffnung von ca. 40 ctm. Höhe und 70 ctm. Breite, durch welche die W. auf den Korridor und über diesen nach dem Ausgange gelangte. Da die beiden Gartentüren verschlossen waren, ist die Weiß über die Mauer geklettert, die auf der Innenseite nur eine Höhe von 1,20 m. hat, wogegen dieselbe auf der Außenseite ca. 3 m. hoch ist. Der Anstaltswärter hat die W. an seinem Fenster vorbeilaufen sehen, konnte dieselbe aber trotz der sofortigen Verfolgung nicht mehr erreichen, da sie in der Dunkelheit verschwunden war.

Die W. bewohnte in der III. Etage ein Zimmer, welches durch eine Tür mit dem Nebenzimmer verbunden war. Auch von dieser Türe hat die Beschuldigte das Schloß entfernt, konnte aber nicht heraus, da diese Türe von außen durch ein Brett verriegelt war. Von den Arbeiten an der Ventilation, die anscheinend mit einem Messer ausgeführt worden sind, ist in der Anstalt nichts gemerkt worden. Die Wiederherstellungskosten werden ca. 10,00 M. betragen."

Polizeiverwaltung Bonn an das Polizeipräsidium Köln, Bonn, den 2.12.03:

"Die hierselbst sowie in Cöln unter Sittenkontrolle stehende Amalie W. wurde ..., da sie für geschlechtskrank befunden wurde, zwangsweise in ärztliche Behandlung gegeben. Dieser Behandlung hat sich die W., ohne daß sie geheilt war, am 25 v. Mts. durch die Flucht entzogen.

Da anzunehmen ist, daß die Genannte sich nach Cöln begeben hat, wo sie seit einigen Monaten wohnt, mache ich von Vorstehendem ergebenst Mitteilung."

Antwort, Köln, den 4.12.03:

"Die W. gelangte am 2. D. Mts. von Bonn kommend hier für Königsplatz 7 zur Anmeldung und hat sich am 3. D. Mts. zur ärztlichen Untersuchung gestellt, bei der sie gesund befunden wurde."

Polizeiverwaltung Bonn an den Direktor der Kliniken, 9.12.03:

"... Der Herr Polizei-Präsident zu Cöln ... teilt mir mit, daß ... [die W.] ... bei der am 3. dieses Monats vorgenommenen ärztlichen Untersuchung gesund befunden worden sei. Dieser Befund entspricht der Behauptung der W., daß sie nicht an einer ansteckenden Krankheit leide.

Da bei dieser Sachlage mit ziemlicher Gewißheit zu erwarten ist, daß die W. Beschwerde erheben wird, ersuche ich ergebenst, mir eine Äußerung über die Krankheit der Genannten zukommen zu lassen."

Antwort von Dr. Grouven, Bonn den 10.12.03:

"... zurückgesandt mit dem ergebenen Bemerken, daß ich s. Zeit bei der W. alle Anzeichen von Tripper - Eiter und Trippererreger in der Harnröhre und dem Gebärmutterhals - nachgewiesen habe. Wenn dieser Nachweis bei einer späteren Untersuchung nach einer mehrwöchentlichen Behandlung der Erkrankung nicht mehr gelungen ist, so beweist dies nicht einmal, daß die W. ganz gesund ist, geschweige denn, daß sie es früher war."

Vermerk von Dr. Dreyer (Arzt im Kölner Polizeigefängnis), Köln, den 18.12.03:

"Die Dirne W. ist von mir 2mal (gestern und heute) im Gefängnis auf Tripper untersucht worden. Die Untersuchungsverhältnisse waren gestern insofern besonders günstig, als heute die Periode begann. Doch habe ich gegenwärtig weder klinisch noch bakteriologisch die Zeichen bezw. die Erreger des Trippers im Cervikal- oder Urethralsekret feststellen können."

 



Im Fall von Anna P., die 1901 wegen Unzucht inhaftiert und in der Klinik wegen einer Geschlechtskrankheit behandelt worden war, verfuhr das Gericht besonders hart: Sie wurde nach ihrer Genesung ins Arbeitshaus Brauweiler gebracht. Diese Maßnahme war in früherer Zeit üblich: Prostituierte wurden so lange in Brauweiler unter Aufsicht gestellt, bis sie durch gutes Betragen eine "Besserung ihres Lebenswandels" bewiesen hatten.

Aus den Polizeiberichten geht hervor, aus welchem sozialen Milieu die Frauen stammten. Sie wohnten zum großen Teil in der "Kuhl", dem Arbeiterviertel am Rhein, das durch den Bombenangriff am 18.10.44 fast vollständig zerstört wurde. Viele waren verheiratet, einige verwitwet. Die Frauen hatten nur ein geringes Einkommen, das wahrscheinlich nicht zum Überleben reichte. Die Akten nennen Dienstmädchen, eine Fabrikarbeiterin, Näherinnen oder Köchinnen. Die Ehemänner der Frauen waren Tagelöhner, Ziegelarbeiter oder ein Schuster. Ohne materielle Not boten die Frauen wohl kaum ihren Körper zum Verkauf an, wie z.B. Susanne B., die beim Polizeiverhör gestand, "...daß sie mit mehreren Husaren des hiesigen Regiments geschlechtlich verkehrt und für diesen Verkehr Getränke und Essen angenommen habe ...". Die Polizei beurteilte die Motive der Frauen jedoch anders. So ist in den Akten von einem "in sittlicher Hinsicht durch und durch verdorbenen Frauenzimmer" die Rede, "welches doch wohl gelobte, sich zu bessern, aber ihrem Versprechen nicht nachkommt. In den letzten Tagen noch hat Krim. Insp. Sergeant ... beobachtet, daß sie mehrere Herren auf der Straße ansprach." (Pr 5990)

Wo gingen die Frauen nun auf "Kundenfang"? Sie waren am Rheinufer, am Rheinwerft, am Neuthor und zunehmend am Hofgarten anzutreffen, also vielfach an Orten, die unbeleuchtet und unbewohnt waren. Dem Kuratorium der Universität war das Treiben im Hofgarten ein Dorn im Auge. Es beauftragte den Museumswächter Bahr im Juli 1892 damit, dieses Treiben eingehend zu beobachten und darüber zu berichten. Am 21. September teilte Bahr dem Kurator mit: "Fast jeden Abend habe ich die Beobachtung gemacht, daß sich Frauenzimmer und Männer insbesondere um das Museum umhertreiben. Es scheinen dieses welche [zu] sein, welche unter sittenpolizeilicher Controlle stehen, denn ich habe dieselben wiederholt vor dem Fenster meiner Wohnung verjagt und erhielt ich dann eine derartige Antwort, wo ich vorstehendes drauß schließen mußte, z.B. 'ich habe die Erlaubnis dazu' u.s.w.

Seit 8 Jahren, solange ich im Museum wohne, ist dieser Unfug hier gewesen, und es scheint fast, das zeigen schon die Zerstörungen in den jungen Anpflanzungen um das Museum, mit kurzen Unterbrechungen und trotzdem sich in letzter Zeit ein Polizei Beamter in Uniform hier bewegt, keine Abnahme stattgefunden haben, denn ich habe grade seit ungefähr 2 Monaten (nach dem mir gewordenen Auftrage) häufiger Beobachtungen angestellt, es ist wie in den früheren Jahren."

Der Kurator wandte sich daraufhin direkt an Oberbürgermeister Spiritus und schickte ihm den Bericht von Bahr "... dem ich den Auftrag zur Beobachtung des Treibens der liederlichen Dirnen im Hofgarten ... ertheilt hatte, mit dem ergebenen Ersuchen, denselben zur Kenntnis der unterstellten Polizeiorgane zu bringen und dieselben gefälligst anzuweisen, nach Möglichkeit jenem Unwesen, das in den Dämmer- und Abendstunden sich auf's Unangenehmste fühlbar macht, zu steuern." Seitens der Universität hatte man den Promenadenaufseher angewiesen, vor allem den südlichen Teil des Hofgartens in den Abendstunden genau zu kontrollieren. Bei Unterstützung durch die städtischen Sicherheitskräfte erhoffte man sich "einen baldigen und dauernden Erfolg, der im allgemeinen Interesse nur zu wünschen ist". Der Bonner Polizeiinspektor war da allerdings skeptisch: "Das Unwesen im Hofgarten hat sich, wie mir allseits bestätigt wird, gegenüber früher bedeutend verringert. Es ganz zu unterbinden, wird kaum möglich werden."

Die Zahl der registrierten Prostituierten änderte sich von Jahr zu Jahr und schwankte beträchtlich. 1896 ist nur von sechs Frauen die Rede, 1905 waren es 35. Das war im Vergleich zu anderen Städten wenig. Vielerorts stand das Anwachsen der Prostituierten in engem Zusammenhang mit einer raschen Industrialisierung, die viele alleinstehende Männer in die Städte zog. In Bonn als Universitäts- und Pensionärsstadt fand nur spät und in geringem Umfang eine Industrialisierung statt. Hier waren die Freier weniger Arbeiter, sondern eher Husaren und Regimentsangehörige. Wahrscheinlich sind auch Studenten hinzuzurechnen, denn in den Sitzungen des 1908 gegründeten "Ortsvereins zur Bekämpfung der öffentlichen Sittlichkeit" wurde wiederholt der "Stand der Sittlichkeit unter den Studenten" thematisiert.

Da es in Bonn nur wenige Fabriken gab, waren es hier weniger die sehr schlecht bezahlten Industriearbeiterinnen, die in die Prostitution getrieben wurden, als vielmehr Dienstmädchen und Mägde. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren zwei Drittel der erwerbstätigen Bonnerinnen "in Stellung"; bis zur Jahrhundertwende war dies die häufigste Erwerbstätigkeit der Frauen. Abgesehen von der äußerst notdürftigen Bezahlung, die zu einem Zusatzverdienst Anlas geben konnte, waren die Dienstmädchen den sexuellen Belästigungen der Hausherren und ihrer heranwachsenden Söhne ausgesetzt. Nicht selten wurden sie schwanger, was in der Regel die fristlose Kündigung zur Folge hatte. Vermutlich war für manche, die keine Familie in Bonn hatte, die Prostitution der einzige Ausweg aus ihrer Notlage, denn als ledige Mütter fanden sie in den gutbürgerlichen Haushalten kaum eine neue Stelle.

Auch Frauen, die schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren, wurden schließlich Prostituierte. Die geschiedene, dann wiederverheiratete Katharina S., wohnhaft Maxstr. 9, war 1893 wegen "Abtreibung der Leibesfrucht" zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt worden, 1895 wegen erwerbsmäßiger Unzucht zu einer Woche Gefängnis und 1901 zu sechs Wochen Haft wegen Kuppelei. Darüber hinaus war sie siebenmal wegen "Sittenpolizei-Kontravention" , versäumter Sittenkontrolle, bestraft worden. Diese Aufzählung ihrer Strafen zeigt aber nur ein sehr einseitiges Bild, denn die Hintergründe, die Katharina Schneide zu ihrem Verhalten veranlasst haben, sind in der Akten nicht aufgeführt.

War eine Frau erst einmal wegen "gewerbsmäßiger Unzucht" registriert, so erwiesen sich die Kontrollen und Bestimmungen als Teufelskreis, dem sie nur schwer entrinnen konnte. Die wöchentlichen Untersuchungen und die ständige Verhaftungsgefahr, z. B. wegen Überschreitens des abendlichen Ausgangsverbots, erschwerten es den Frauen sehr, einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen. Die Wäscherin Gertrud B., die nach eigenen Angaben nur in Ausnahmefällen Liebesdienste verrichtete und "durch die Denunziation gehässiger Personen ... unter sanitätspolizeiliche Controlle gestellt" worden war, schilderte 1889 in einem Schreiben an die Stadt, wie nachteilig sich die Sanitätskontrolle auf ihren Broterwerb auswirkte. "Nun kann ich aber, wenn ich Mittwochs zur Klinik zur ärztlichen Untersuchung gehen muß, meine Kunden, von denen ich Arbeit habe, nicht zur pünktlichen Zeit bedienen, und muß es den Leuten doch auffällich werden, und die Folge davon wäre, daß ich meine Arbeit verlieren und keine andere erhalten würde." Sie bat, ihr die Untersuchungen zu erlassen, denn sonst würde sie wirklich in die Prostitution getrieben. Das Gesuch wurde von der Polizeibehörde abgelehnt.

Generell waren die Aussichten auf positiven Bescheid nicht günstig. Es bedurfte genauer Observierung und eines tadellosen Betragens, um wegen guter Führung von der Sittenkontrolle entbunden zu werden. In der Regel waren die Frauen für lange Zeit stigmatisiert. Eine schnellere Möglichkeit, die lästigen Kontrollen zu umgehen, bestand darin, sich beim Einwohnermeldeamt abzumelden. Manche blieben "illegal" in Bonn wohnen, andere zogen in eine andere Stadt, um ein neues Leben zu beginnen.

Bettina Bab


Quellen:

Pr 5990 Polizeiliche Mitteilungen über geschlechtskranke Frauenzimmer

Pr 5992 Beaufsichtigung und Bestrafung der der öffentlichen Unzucht nachgehenden Frauenzimmer