Zwangsarbeit in Bonn 1939-1945

 

Ein Brief aus der Ukraine

"Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Ich bin ehemalige Ostarbeiterin. Ich habe große Bitte an Sie. Helfen Sie mir bitte, Angaben über meinen Aufenthalt in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges zu finden. Ich wurde am 4. Juni 1942 aus dem Dorf Sorokotjaga, Bezirk Shaschkow, Gebiet Kiew, zur Zwangsarbeit nach Deutschland abgefahren. Zuerst habe ich in der Stadt Bonn am Rhein im Keramikwerk an der Klemens-August-straße gearbeitet. Dann wurde ich in die Stadt Sechtem auf die Rheinische Konservenfabrik Georg Seidels befördert. ... Ich warte sehr auf Ihre Antwort und danke Ihnen sehr."

Briefe wie diesen erhält die Stadt Bonn in großer Zahl aus Osteuropa - meist aus der Ukraine und aus Polen -, seitdem für die noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die Aussicht besteht, aus dem von Bundesregierung und Industrie im Rahmen des "Gesetzes zur Errichtung der Stiftung ‘Erinnerung, Verantwortung und Zukunft’" eine späte und bescheidene Entschädigungszahlung zu erhalten. Mit Hilfe der noch vorhandenen spärlichen Unterlagen bemühen sich die Mitarbeiter des Bonner Stadtarchivs, das für die Beantwortung solcher Fragen zuständig ist, den Antragstellern eine entsprechende Bescheinigung über ihren Aufenthalt in Deutschland auszustellen. Ohne diesen Nachweis würden sie nicht in den Genuss der Entschädigung kommen.

 

Mehr als 11 Millionen ausländische Arbeitskräfte während des Zweiten Weltkrieges in Deutschland

Die Bittsteller gehören zu den ca. 11,5 Millionen Frauen und Männern, die von 1939 bis 1945 meist aus Ost- und Mittelosteuropa fast immer gegen ihren Willen "zum Reichseinsatz" ins nationalsozialistische Deutschland gebracht worden waren, um dort den kriegsbedingten Mangel an Arbeitskräften zu beseitigen. Für diese Menschen hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch der letzten Jahre die Bezeichnung Zwangsarbeiter eingebürgert.

Diese Bezeichnung umfasst im wesentlichen drei an sich heterogene Gruppen: Kriegsgefangene, ausländische Zivilarbeiter und KZ-Häftlinge, unter denen sich auch Deutsche befanden. Auch wenn die Übergänge zwischen diesen Gruppen oftmals fließend waren - Kriegsgefangene wurden oftmals nicht in die Heimat entlassen, sondern mussten sich als Zivilarbeiter verpflichten; Kriegsgefangene oder Zivilarbeiter wurden bei Verstößen gegen NS-Vorschriften vielfach in KZs eingewiesen -, verbanden sich für die Betroffenen mit ihrem jeweiligen Status grundlegend unterschiedliche rechtliche und soziale Bedingungen.

Für die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter war allerdings ein anderer Umstand mindestens genauso wichtig wie dieser Status: ihre Herkunft. In der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung bestimmte vor allem die "Rasse" die Stellung des einzelnen Ausländers. Ganz oben in der Hierarchie standen danach "Arier" wie Niederländer, Flamen und Dänen; danach kamen die "fremdvölkischen" Westeuropäer wie Franzosen, Wallonen und Italiener; als "rassisch minderwertig" galten Polen und noch stärker die Völker der Sowjetunion.

Gemeinsam ist allen Zwangsarbeitern, dass sie fern ihrer Heimat eingesetzt wurden und ihr Arbeitsverhältnis nicht aufkündigen bzw. noch nicht einmal Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nehmen konnten. Zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden auch viele deutsche Juden bis zu ihrer Deportation sowie andere von den Nürnberger Rassegesetzen Betroffene während der gesamten Kriegsdauer.

 

Ausländische Zivilarbeiter

Noch vor Kriegsbeginn bemühten sich die deutschen Arbeitsämter, in verbündeten und abhängigen Staaten Arbeitskräfte anzuwerben. Im Kriegs-verlauf dehnten sie ihre Aktivitäten auf alle von der Wehrmacht besetzten Länder aus. Anfangs erfolgten die Anwerbungen meist auf freiwilliger Basis; die Bereitschaft, nach Deutschland zu gehen, wurde durch Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit im jeweiligen Heimatland begünstigt. In Polen allerdings hatte die Rekrutierung von Arbeitskräften von Anfang an Zwangscharakter.

Als Folge des andauernden Krieges wurden immer mehr deutsche Arbeiter zur Wehrmacht eingezogen; entsprechend stieg der Bedarf der deutschen Wirtschaft an "Fremdarbeitern", wie sie in der NS-Terminologie hießen. Mit der Ernennung der Thüringer Gauleiters Fritz Sauckel zum "Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" im Frühjahr 1942 verschärften sich überall im besetzten Europa die Methoden bei der Arbeitskräfterekrutierung. Auch in den besetzten westeuropäischen Ländern erlaubte es die Einführung der Arbeitsdienstpflicht, entsprechend den Bedürfnissen der deutschen Kriegswirtschaft, Arbeitskräfte auszuheben und nach Deutschland zu verschicken. Anders als im Osten, wo Razzien und regelrechte Menschenjagden auf Arbeitsfähige der Normalfall waren, ging es hier noch vergleichsweise human zu.

Vereinfachend kann man sagen, dass Zivilarbeiter aus Westeuropa bis Mitte 1942 oft freiwillig kamen, danach aber fast immer aufgrund einer Dienstverpflichtung. Bei den Zivilarbeitern aus Osteuropa handelte es sich bis auf wenige Ausnahmen immer um Zwangsarbeiter. Polen und Sowjetbürger ("Ostarbeiter") waren durch Abzeichen ("P" bzw. "Ost"), die sie in der Öffentlichkeit immer tragen mussten, stigmatisiert. Sie erhielten weniger und schlechtere Nahrungsmittel, waren meist in Lager eingesperrt und wurden nicht oder nur gering für ihre Arbeit bezahlt.

Arbeiter aus Westeuropa dagegen erhielten gleiche Nahrungsmittelrationen und gleichen Lohn wie Deutsche, konnten sich privat Quartiere suchen und genossen eine gewisse Freizügigkeit bis hin zur Erteilung von Heimaturlaub - für viele Westeuropäer anfangs Grund genug, einen Arbeitsplatz in Deutschland anzunehmen. Doch auch bei ehemals Freiwilligen konnte ihr Aufenthalt in Deutschland schnell Zwangscharakter annehmen, wie folgendes Beispiel zeigt: Eine junge Holländerin aus Eindhoven kommt als Hausmädchen nach Bonn. Da ihr die Arbeitsstelle nicht gefällt, will sie in die Heimat zurück. Beim Versuch der Ausreise wird sie als "Vertragsbrüchige" festgenommen und in ein sogenanntes Arbeitserziehungslager gesteckt. Nach der Haft wird sie bis auf weiteres dienstverpflichtet. Aus Furcht vor erneuter Inhaftierung wagt sie keinen weiteren Fluchtversuch und bleibt bis zum Kriegsende in Bonn.

 

Kriegsgefangene

Nach der Genfer Konvention zum Schutze der Kriegsgefangenen war deren Arbeitseinsatz mit gewissen Einschränkungen durchaus erlaubt. Die Wehrmacht, der die Kriegsgefangenen unterstanden, handhabte die völkerrechtlichen Bestimmungen in sehr unterschiedlicher Weise: Bei gefangenen Westalliierten - besonders bei Engländern und Amerikanern - hielt sie sich genau an die Bestimmungen, bei Angehörigen anderer Nationen nahm sie es damit nicht so genau. Am schlechtesten behandelt wurden die gefangenen Rotarmisten. Mit der Begründung, die Sowjetunion habe die Genfer Konvention nicht unterzeichnet, wurde den Angehörigen der Roten Armee eine menschliche Behandlung versagt. Mehr als zwei Millionen Gefangene ließ man im ersten Kriegsjahr in den osteuropäischen Lagern verhungern, bevor entschieden wurde, die Überlebenden zum Arbeitseinsatz ins Reich zu bringen. Auch hier wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen extrem schlecht versorgt, so dass sehr viele an Unterernährung und an Mangelkrankheiten starben. Ein ähnlich schweres Schicksal erlitten die italienischen "Militärinternierten", die 1943 nach dem Kriegsaustritt Italiens von der Wehrmacht festgesetzt und nach Deutschland verschleppt wurden.

Um sie dem Schutz der Genfer Konvention zu entziehen, aber auch aus außenpolitischer Rücksichtnahme wurden Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern in den Status von Zivilarbeitern überführt: fast alle Polen bis zum Sommer 1940, ein großer Teil der Franzosen 1943 sowie alle Italiener im August und September 1944.

Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Bonn waren während des Krieges mehrere tausend Kriegsgefangene interniert. In Duisdorf auf der Hardthöhe befand sich das Stammlager (Stalag) VI G, dem bis zu 53.000 Gefangene unterstanden. Bis zu 7.000 Gefangene waren im Lager selbst untergebracht, die anderen wurden in zahlreichen Arbeitskommandos im gesamten Rheinland eingesetzt. Im heutigen Bonner Stadtgebiet gab es einige Arbeitskommandos (z.B. bei der Müllabfuhr), die fast während des gesamten Krieges bestanden und in eigenen Lagern untergebracht waren; die meisten Arbeitskommandos hielten sich jedoch (z.B. zur Trümmerbeseitigung) nur kurzfristig in Bonn auf, um dann wieder an anderen Orten eingesetzt zu werden.

 

KZ-Häftlinge

Erst sehr spät - etwa seit Mitte 1942 - ging die SS dazu über, Häftlinge ihrer Konzentrationslager in Industriebetrieben und in Baubrigaden vor allem für Rüstungsprojekte einzusetzen. KZ-Häftlinge stellten die mit Abstand am stärksten unterdrückte Gruppe unter den Zwangsarbeitern dar. Die Sterblichkeit unter ihnen war extrem hoch ("Vernichtung durch Arbeit"). Dies lag nicht nur an der völlig unzureichenden Versorgung und den menschenverachtenden Arbeitsbedingungen, sondern auch an der Brutalität ihrer Bewacher, deren Misshandlungen sie hilflos ausgeliefert waren.

Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Bonn gab es keine reguläre KZ-Außenstelle. Nach den bislang bekannten Informationen sind hier bis auf ganz wenige Einzelfälle (Angehörige der III. SS-Baubrigade in Bad Godesberg) keine KZ-Häftlinge zur Arbeit eingesetzt worden.

 

Die Situation in Bonn

Die Zahl der in Bonn eingesetzten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter war - verglichen mit Städten ähnlicher Größe - relativ gering. Der Grund hierfür ist das Fehlen bedeutender Industriebetriebe. Die wichtigsten Unternehmen, die einen Großteil der Zwangsarbeiter im Bonner Raum beschäftigten, waren: die Vereinigten Aluminiumwerke im Bonner Norden, die Wesselwerke in Poppelsdorf und im Bonner Westen, die Firma Moeller am Bonner Güterbahnhof, die Firma Soennecken in Poppelsdorf, die Jutespinnerei und die Firma Marquardt in Beuel sowie die Ringsdorffwerke und die Chamotte- und Dinaswerke in Bad Godesberg-Mehlem. Diese Firmen unterhielten für ihre Zwangsarbeiter eigene Lager, z.B. das Lager "Anton" der Ringsdorffwerke oder das Lager "Anuschka" der Firma Moeller.

Neben den firmeneigenen Lagern existierten etliche Gemeinschaftslager, die meist in den Sälen von Gastwirtschaften eingerichtet waren. Hier waren überwiegend Arbeiter der kleineren Unternehmen und Handwerksbetriebe untergebracht. Die damals für den Raum Bonn noch wichtige Landwirtschaft beschäftigte ca. 15% aller Zivilarbeiter, die in der Regel direkt auf den Höfen wohnten. Für die Struktur Bonns typisch war die große Zahl der "Hausgehilfinnen"; fast jede dritte Zwangsarbeiterin (ungefähr 10% aller Zivilarbeiter) war als Dienstbotin tätig.

Die geographische Lage war eine der Ursachen für die vergleichsweise sehr hohe Zahl von Niederländern, Belgiern und Luxemburgern in Bonn. Mehrere hundert Niederländer lebten bereits vor dem Krieg in Bonn und stellten hier die einzige zahlenmäßig bedeutende Ausländergruppe dar.

  

Aus welchen Ländern kamen Zwangsarbeiter nach Bonn ?

Die ersten Zwangsarbeiter trafen noch vor Kriegsbeginn in Bonn ein: Es waren Tschechen aus dem "Protektorat Böhmen und Mähren", das nach der "Zerschlagung" der Tschechoslowakei entstandenen war. Auch aus der mit dem Deutschen Reich verbündeten Slowakei kamen Arbeitskräfte, diese allerdings offenbar freiwillig.

Polnische Zivilarbeiter wurden seit Anfang 1940, in größerer Zahl seit Sommer 1940, nach Bonn verschleppt. Hier befanden sich schon seit Ende 1939 kriegsgefangene Polen, von denen viele im Lauf des Jahres 1940 in den Zivilstatus entlassen wurden. Mehr als die Hälfte aller Polen in Bonn wurde in der Landwirtschaft eingesetzt.

Nach den Erfolgen der Wehrmacht im Westen kamen von dort seit 1940 vereinzelt, seit 1942 in großer Zahl Niederländer, Belgier und Franzosen. Viele Franzosen waren ehemalige Kriegsgefangene, die unter der Bedingung "beurlaubt" wurden, dass sie sich als Zivilarbeiter verpflichteten. Auffällig ist die verhältnismäßig große Zahl von Luxemburgern in der Stadt Bonn. Sie scheinen jedoch überwiegend freiwillig gekommen zu sein.

Der Krieg auf dem Balkan seit Frühjahr 1941 erschloss ein weiteres Arbeitskräftereservoir, das die Deutschen ausnutzen konnten. Aus dem neu entstandenen, vom Deutschen Reich abhängigen Kroatien, dem weite Teile Bosniens und Serbiens zugeschlagen wurden, kamen Zivilarbeiter; im Bonner Raum wurden sie vor allem in Bad Godesberg eingesetzt. Aus den unter deutscher Militärverwaltung stehenden Gebieten des ehemaligen Jugoslawien wurden überwiegend serbische Kriegsgefangene nach Bonn gebracht.

Als der Krieg gegen die Sowjetunion sich langwieriger als erwartet gestaltete, holte das NS-Regime trotz ideologischer Bedenken auch von dort Arbeitskräfte in großer Zahl nach Deutschland. Nach Bonn kamen vor allem Ukrainer, daneben auch Russen und Weißrussen sowie einige wenige Balten.

Aus dem anfangs verbündeten faschistischen Italien hatten sich noch vor Kriegsbeginn zahlreiche Männer zur Arbeit in Bonn (besonders in den Aluminiumwerken) verpflichtet. Während des Krieges kehrten fast alle in die Heimat zurück. Ab 1943 kamen mehrere hundert "Militärinternierte" nach Bonn, deren Status überwiegend im September 1944 in den von Zivilarbeitern umgewandelt wurde. Im letzten Kriegsjahr wurden zudem aus den von der Wehrmacht kontrollierten Gebieten Italiens Zivilisten nach Bonn verschleppt.

 

Ungefähr 10.000 zivile Zwangsarbeiter in Bonn

Die großzügige Spende einer Bonner Bürgerin ermöglichte es dem Bonner Stadtarchiv, im Rahmen eines Projektes die vorhandenen Unterlagen (vornehmlich die alten Melderegister) auszuwerten, um so hilfesuchenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern die Auskünfte geben zu können, die für deren Entschädigungsanträge notwendig sind. Im Rahmen dieses Projektes konnten bislang namentlich ermittelt werden: 2.052 Sowjetbürger, 1.207 Polen, 1.346 Holländer, 1.069 Belgier, 283 Luxemburger, 1.375 Franzosen, 609 Italiener, 129 Tschechen, 57 Slowaken, 132 Kroaten, 64 Serben sowie 247 Personen anderer oder ungeklärter Nationalität.

Bei all diesen Personen handelte es sich um Zivilarbeiter, denn Kriegsgefangene unterstanden der Wehrmachtsaufsicht und wurden nicht von den kommunalen Meldeämtern registriert. Die überlieferten Meldeunterlagen sind bedauerlicherweise nicht vollständig. Während das Material für den Stadtbezirk Bonn nahezu komplett vorliegt, ist die Quellenlage für Bad Godesberg und besonders für Beuel sehr viel schlechter. Berücksichtigt man diese Situation und rechnet die Zahlen entsprechend hoch, so ergibt sich eine ungefähre Gesamtzahl von 10.000 zivilen Zwangsarbeitern, die während des Krieges im Gebiet der Stadt Bonn eingesetzt waren. Davon waren bis zu 10% - meist Niederländer, Belgier und Luxemburger - ursprünglich freiwillig nach Bonn gekommen. Die höchste Zahl von gleichzeitig in Bonn anwesenden Zwangsarbeitern wurde im Herbst 1944 mit ca. 7.000 Personen erreicht; beim Einmarsch der Amerikaner im März 1945 war diese Zahl auf ca. 5.000 gesunken.

Frauen stellten knapp ein Drittel der Zwangsarbeiter. Bei den "Ostarbeitern" war dieses Verhältnis genau umgekehrt: Fast doppelt so viele Frauen wie Männer kamen aus der Sowjetunion. Bei ihnen fällt auch das gegenüber anderen Nationalitäten durchschnittlich deutlich niedrigere Lebensalter auf. Die meisten der Frauen waren beim Zeitpunkt ihrer Deportation keine 18 Jahre alt, manche gerade erst 14.

Auffällig ist auch der Umstand, dass sehr viele Zwangsarbeiter aus den gleichen Regionen stammen, von wo aus sie offenbar in geschlossenen Gruppen nach Bonn gebracht worden sind. Herkunftsorte, die immer wieder auftauchen, sind z.B. Zdunska Wola in Polen, Artemowsk, Stalino (vorher Jusowka, heute Donezk), Puschkarewka und Tschernin in der Ukraine, Telechany bei Pinsk in Weißrussland, Kursk in Russland, aber auch Tilburg in den Niederlanden und Le Treport in Frankreich.

 

Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes in Bonn

Die zentrale Rolle bei der Organisation des Zwangsarbeitereinsatzes spielte das Bonner Arbeitsamt. Hier meldeten die Betriebe ihren Arbeitskräftebedarf an und wurden entsprechend ihrer "kriegswichtigen" Bedeutung - und ihrer Beziehungen zur NS-Spitze - mit Zwangsarbeitern ausgestattet. Größere Betriebe organisierten sich ihre Arbeitskräfte in Kooperation mit dem Arbeitsamt oft gleich direkt aus deren Heimatländern. Wie dies funktionierte, zeigt ein Beispiel aus der Ukraine. Unter dem Vorwand einer Volkszählung mussten sich die Bewohner von Artemowsk im Juli 1942 bei der deutschen Kommandantur einfinden. Junge und arbeitsfähige Menschen wurden ausgesondert und per Bahn zunächst in ein Durchgangslager nach Wuppertal transportiert. Dort wurden ca. 100 Frauen und Mädchen von Abgesandten der Firmen Soennecken und Wessel ausgesucht, nach Bonn gebracht und auf die Fabriken verteilt. Manche von ihnen arbeiteten bis zum Kriegsende in diesen Firmen, manche wurden vom Arbeitsamt an anderen Stellen im Arbeitsamtsbezirk eingesetzt, je nachdem, wie es der Arbeitskräftebedarf gerade erforderte.

Angesichts eines leergefegten Arbeitsmarktes gab es kaum einen gewerblichen oder landwirtschaftlichen Betrieb, der nicht ausländische Zivilarbeiter oder Kriegsgefangene beschäftigte. Das Arbeitsamt war oft nicht in der Lage, allen Anforderungen zu entsprechen. Es konnte vor allem die Nachfrage nach Facharbeitern nicht befriedigen. Zwangsarbeiter wurden fast immer - Ausnahmen gab es allerdings bei den Westeuropäern - als Hilfsarbeiter eingesetzt; auf vorhandene berufliche Qualifikationen wurde nur selten Rücksicht genommen.

 

Lebensbedingungen

Wie schon erwähnt, waren die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter vor allem von deren jeweiliger Nationalität abhängig. Dies fing schon mit der Art der Anreise an. Während Zwangsarbeiter aus dem Osten meist mit Güterwagen transportiert und nach ihrer Ankunft sogleich in Lager gesteckt wurden, kamen Westeuropäer mit dem Personenzug, stiegen zunächst in einem der zahlreichen Bonner Fremdenheime ab und quartierten sich dann als Untermieter in Privathaushalten ein. Auffällig ist, wie häufig insbesondere Niederländer ihre Wohnungen wechselten. Den in Lagern untergebrachten Zwangsarbeitern aus Polen und der Sowjetunion standen nicht nur geringere Lebensmittelrationen zu, in der Praxis erhielten sie oft noch nicht einmal das wenige, das ihnen zustand. Wie viele Zeitzeugenberichte, aber auch offizielle Akten belegen, war es in vielen Lagern üblich, dass Lagerleitung und deutsches Personal die quasi rechtlosen Ausländer betrogen und Lebensmittel in die eigenen Tasche abzweigten.

Die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter befanden sich meist in einer deutlich besseren Position als ihre Leidensgefährten in der Industrie. Dies lag einmal an der naturgemäß besseren Versorgung mit Lebensmitteln, aber auch an der im allgemeinen besseren Behandlung auf den Höfen. Die überwiegend katholische Bonner Landbevölkerung erwies sich gegenüber der nationalsozialistischen Rassenideologie als weitgehend immun und verhielt sich "ihren" Zwangsarbeitern gegenüber in der Regel human. Auch in anderen Bereichen erleichterte menschliches Verhalten vieler Deutscher das Schicksal der Zwangsarbeiter. Freundliche Gesten am Arbeitsplatz, Zuwendungen von Lebensmitteln oder gar aktive Fluchthilfe waren jedoch eher die Ausnahme; die Bonner Bevölkerung stand den Ausländern überwiegend gleichgültig gegenüber.

Die unzureichende Ernährung, die schwere Arbeit oft ohne ausreichende Schutzmaßnahmen, aber auch der Bombenkrieg, dem die Zwangsarbeiter wegen mangelnder Luftschutzeinrichtungen in den Lagern besonders ausgesetzt waren, forderten viele Opfer, über deren genaue Zahl zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nichts gesagt werden kann.

Ein besonders trauriges Kapitel ist das Schicksal der in Bonn geborenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen. Mindestens 50 Kinder polnischer oder sowjetischer Nationalität kamen zwischen 1940 und 1945 hier zur Welt, von denen ein großer Teil infolge der schlechten Lebensbedingungen schon bald verstarb, viele davon in der vom Landkreis Bonn eingerichteten "Pflegestätte für Ausländerkinder" in Alfter.

 

Unterdrückung und Widerstand

Vor allem Polen und Angehörige der Sowjetunion waren einem Sonderrecht unterworfen. Schon bei kleineren Verstößen, wie z.B. Nichttragen des Zeichens "P" bzw. "Ost" oder Benutzung eines Fahrrades, drohten drakonische Strafen. In mehreren Fällen wurden Bonner Zwangsarbeiter in Konzentrationslager eingewiesen. Am schwersten geahndet wurden unerlaubte Kontakte zur deutschen Bevölkerung, insbesondere sexuelle Beziehungen zu Frauen. In Bonn wurden deswegen während des Krieges mehrere Zwangsarbeiter hingerichtet. Der bekannteste Fall ereignete sich am Beueler Finkenberg, wo im Sommer 1941 zwei Polen öffentlich gehängt wurden. Bei kleineren Vergehen, z.B. wegen nicht genügender Arbeitsleistung, wurden Zwangsarbeiter in ein Arbeitserziehungslager (AEZ) eingeliefert, wo sie mehrere Wochen bei harter Arbeit und knapper Kost verbringen mussten. Die Bonner Gestapo unterhielt solche AEZs in Bonn an der Kölnstraße und in Godesberg an der Weststraße; daneben gab es noch ein privates AEZ bei den Ringsdorffwerken. In die Bonner Arbeitserziehungslager wurden auch Westeuropäer und sogar Deutsche eingewiesen, bei den meisten Gefangenen handelte es sich aber um "Ostarbeiter".

Viele Zwangsarbeiter versuchten, von ihrem Arbeitsplatz in Bonn zu fliehen. Häufig nutzten sie den Urlaub in der Heimat, um dort unterzutauchen; in solchen Fällen mussten sie aber Repressionen gegen ihre Familienangehörigen befürchten. Polen und "Ostarbeiter", für die es in der Regel keinen Heimaturlaub gab, hatten diese Möglichkeit nicht. Ganz wenigen gelang es dennoch, von Bonn aus direkt in die Heimat zu fliehen. Eine reelle Chance, sich besonders schlechten Arbeitsbedingungen oder einer drohenden Verhaftung zu entziehen, bestand für viele darin, aus dem Lager zu fliehen, in Bonn oder der Umgebung unterzutauchen und sich unter falschem Namen einen besseren Arbeitsplatz zu suchen. Angesichts der allmählichen Auflösung des Staatsapparates als Folge der Kriegsereignisse nahm im letzten Kriegsjahr die Zahl der Flüchtigen deutlich zu.

 

Nach dem Krieg

Nach der Befreiung durch die US-Armee im März 1945 sollte es für die meisten Zwangsarbeiter, insbesondere für diejenigen aus Polen und der Sowjetunion, noch lange dauern, bis sie in ihre Heimat zurückkehren konnten. Als sogenannte "Displaced Persons" wurden sie von den Alliierten in Sammellagern untergebracht. Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit von ehemaligen Zwangsarbeitern begangenen Übergriffe gegen Deutsche (vor allem Plünderungen, aber auch einige Morde) bestimmten im Bewusstsein der Bonner Bevölkerung lange das Bild vom "Fremdarbeiter".

Bis Sommer 1946 hatten die meisten ehemaligen Zwangsarbeiter Bonn verlassen. In der Sowjetunion sahen sie sich kollektiv dem Vorwurf der Kollaboration ausgesetzt; viele fanden sich erneut als Zwangsarbeiter in einem Arbeitslager wieder. Während des Kalten Krieges war es für die im Ostblock lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter gänzlich unmöglich, eine Entschädigung zu erhalten. Dies änderte sich erst mit der politischen Wende im Osten. Doch erst nach zähen und langwierigen Verhandlungen und unter dem Druck der internationalen öffentlichen Meinung verständigten sich Bundesregierung und deutsche Industrie, einen gemeinsamen Fonds in Höhe von 10 Milliarden DM zur Entschädigung der ca. 1 Million noch heute lebenden Zwangsarbeiter zu schaffen. Mit der Auszahlung soll nach Meinung von Regierung und Industrie erst dann begonnen werden, wenn den deutschen Unternehmen Rechtssicherheit vor zukünftigen individuellen Klagen garantiert wird.

Der eingangs erwähnten ehemaligen Zwangsarbeiterin aus der Ukraine konnte das Bonner Stadtarchiv helfen: Sie hat eine Bescheinigung über ihren Aufenthalt in Bonn erhalten. Genutzt hat ihr diese Bescheinigung bislang noch nicht. Als ehemaliger Zwangsarbeiterin in einem Industriebetrieb steht ihr die Summe von 1.000 - 2.000 DM zu. In den Genuss der Entschädigung werden die inzwischen 75-jährige wie auch die anderen mittlerweile hochbetagten ehemaligen Zwangsarbeiter allerdings nur dann kommen, wenn sehr bald mit den Auszahlungen begonnen wird.

Erhard Stang